LG Münster 115 O 220/18 – Urteil vom 3. Dezember 2020

Leitsatz der Redaktion: Innere Zustände wie Meinungen, Motive, Wünsche, Überzeugungen und Werturteile können personenbezogene Daten im Sinne der DSGVO sein.

Tenor

Unter Abweisung der Klage im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, dem Kläger über die mit Schreiben vom 26.06.2018 bereits erfolgte Übersendung von Abrechnungsunterlagen hinaus Auskunft zu erteilen zu sämtlichen weiteren den Kläger betreffenden personenbezogenen Daten, welche die Beklagte gespeichert, genutzt und verarbeitet hat.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Leistungen aus einem bei der Beklagten bestehenden Krankheitskostenversicherungsvertrag für zukünftige Immunglobulin-Behandlungen sowie Auskunft über gespeicherte Daten.

Der am 05.06.1982 geborene Kläger unterhält seit 2005 bei der Beklagten eine private Krankheitskostenversicherung, u.a. werden für ambulante medizinisch notwendige Behandlungen 100% der Kosten erstattet bei einer Selbstbeteiligung von 2.000,00 € pro Kalenderjahr, für stationäre medizinisch notwendige Behandlungen werden (ohne Selbstbeteiligung) 100% der Kosten erstattet, ein Krankenhaustagegeld ist in Höhe von 50,00 € versichert (Versicherungsschein vom 16.11.2017, Anlage K 1).

Vereinbart ist zwischen den Parteien die Geltung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten nebst Tarifbedingungen (Teil der Anlage K 1).

In der Vergangenheit befand sich der Kläger regelmäßig in stationärer Behandlung in der … Neurologische Klinik … und unterzog sich dabei jeweils einer Immunglobulin-Therapie.

In einem „fachärztlichen Verlaufsbericht“ der Klinik vom 12.06.2017 (Teil der Anlage K 10) heißt es hierzu, dass eine erstmalige ambulante Behandlung am 04.07.2014 stattgefunden habe, bei dem Kläger hätten sich im Rahmen der Untersuchungen typische Zeichen einer sogenannten Neuromyotonie gefunden (auch Isaacs-Syndrom genannt).

Seit Juli 2014 ist der Kläger in der Klinik in etwa dreiwöchigen Abständen für jeweils 2 Tage stationär aufgenommen und mit Immunglobulinen behandelt worden, die Behandlungskosten und das Krankenhaustagegeld wurden bis August 2017 von der Beklagten gezahlt.

Mit Schreiben vom 15.08.2017 (Anlage K 6) teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass ein Nutzen der Gabe von Immunglobulinen bei dem Kläger nicht belegt sei, zudem sei nicht nachvollziehbar, dass diese Gabe im Rahmen einer stationären Behandlung erfolgen müsse. Sie teilte weiter mit, dass die Kosten für bis zum 31.08.2017 durchgeführte Behandlungen noch erstattet würden, danach könne keine Erstattung mehr erfolgen.

Bis August 2017 hatten bei dem Kläger insgesamt 54 Behandlungszyklen stattgefunden. Mit Ausnahme von zwei weiteren Behandlungen im Mai und Juni 2019 unterzog sich der Kläger keinen weiteren regelmäßigen stationären Behandlungen in der … Neurologische Klinik … mehr.

Der ärztliche Leiter der … Neurologische Klinik …, Dr. A…, bescheinigte dem Kläger nach einer ambulanten Untersuchung vom 22.06.2018, dass sich der Zustand des Klägers ganz erheblich verschlechtert habe, es bestehe eine dringliche Indikation zur Wiederaufnahme der Immunglobulin-Therapie (IVIG-Behandlung).

Diese Bescheinigung übersandte der Kläger der Beklagten, die daraufhin mit Schreiben vom 16.08.2018 (Anlage K 12) um Erläuterung bat, ob und mit welchem Erfolg weitere, näher bezeichnete Behandlungsmöglichkeiten eingesetzt worden seien.

Mit Anwaltsschreiben vom 23.05.2018 (Anlage K 8) forderte der Kläger neben einer zukünftigen Erstattung der Kosten einer Immunglobulin-Therapie Auskunft über die bei der Beklagten über den Kläger gespeicherten Daten.

Der Kläger behauptet, die Fortsetzung der stationären Immunglobulin-Therapie (IVIG-Behandlung) sei medizinisch notwendig zur Behandlung seiner Neuromyotonie.

Die Immunglobulin-Therapie sei geeignet, auf eine Verhinderung der Verschlimmerung seiner Erkrankung hinzuwirken, eine Möglichkeit zur Heilung bestehe nicht. Die Behandlung müsse stationär erfolgen, da er nach Gabe der Infusion mindestens 24 Stunden ärztlich überwacht werden müss

Weiteren regelmäßigen Behandlungszyklen habe er sich nicht unterzogen, da er sich die Behandlungskosten von jährlich 69.203,59 € (17 x 3.482,55 €) nicht leisten könne. Da er ohne diese Behandlung arbeitsunfähig sei, drohe seinem Dachdeckerbetrieb die Schließung.

Der Kläger beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, ihm im tariflichen Umfang der zwischen den Parteien bestehenden Krankenversicherung Nr. … die Kosten einer stationären Immunglobulinbehandlung im bedingungsgemäßen Umfang zu erstatten bis zum Abheilen seiner Neuromyotonie (entfallen der medizinischen Behandlungsnotwendigkeit) auch zukünftig weiterhin zu erstatten,
  1. hilfsweise zu 2.) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten einer stationären Immunglobulinbehandlung des Klägers im tariflichen Umfang der zwischen den Parteien bestehenden Krankenversicherung Nr. … auch zukünftig bis zum Abheilen seiner Neuromyotonie (entfallen der medizinischen Behandlungsnotwendigkeit) weiterhin zu erstatten,
  1. ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.323,55 € freizustellen, zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,
  1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine vollständige – über die bisherige Auskunftserteilung in Anlage K 10 hinausgehende – Datenauskunft über die ihn bei der Beklagten vorhandenen personenbezogenen Daten zu erteilen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Antrag zu 1) sei wie der Antrag zu 2) auf Feststellung einer zukünftigen Leistungspflicht gerichtet. Beide Anträge seien unzulässig, da in der privaten Krankenversicherung nur eine Verpflichtung zum Ersatz bereits entstandener Kosten bestehen könne. Die Anträge seien auch zu unbestimmt, da eine zeitlich bestimmbare Begrenzung fehle.

Die Beklagte bestreitet die medizinische Notwendigkeit der Immunglobulin-Therapie sowie die Notwendigkeit einer stationären Behandlung.

Die personenbezogenen Daten, über die der Kläger Auskunft verlange, lägen diesem bereits vor.

Das Gericht hat Beweis erhoben auf Grundlage des Beweisbeschlusses vom 10.06.2019 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. M… vom 07.02.2020 (Anlage zu Bl. 309 d.A.), welches dieser auf Einwendungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2020 mündlich erläutert hat (Bl. 477 – 480 d.A.).

Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig (A), aber nur in geringem, aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet (B) und im Übrigen unbegründet (C). Im Einzelnen:

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist zulässig.

Die Klageanträge zu 1) und 2), die letztlich auf eine Verpflichtung zur Kostenübernahme für eine stationäre Immunglobulin-Therapie auf Lebenszeit des Klägers hinauslaufen, sind – ausgehend von der von Klägerseite behaupteten Unheilbarkeit der Erkrankung – zulässig. Unter Zugrundelegung der für Feststellungsklagen geltenden Rechtsprechung kann die Zulässigkeit einer die Zukunft berührenden Klage dann bejaht werden, wenn ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis in dem Sinne betroffen ist, dass die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen schon zur Zeit der Klageerhebung wenigstens die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Das ist wiederum dann der Fall, wenn das Begehren nicht nur auf künftige mögliche, sondern auf bereits aktualisierte, ärztlich für notwendig erachtete bevorstehende Behandlungen gerichtet ist. Außerdem muss durch das Urteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflichten zu erwarten sein. Diese Anforderungen sind – ausgehend vom Klägervortrag – vorliegend erfüllt, denn der Kläger begehrt die Erstattung zukünftig entstehenden Kosten für eine konkret feststehende Behandlung, nämlich eine stationäre Immunglobulin-Behandlung, die jedenfalls nach seinem schriftsätzlichen Vortrag lebenslang ärztlich notwendig ist, wenngleich in den Klageanträgen die Beschränkung „bis zum Abheilen seiner Neuromyotonie“ enthalten ist.

B. Die Klage ist nur in geringem Umfang – hinsichtlich der begehrten Auskunft – begründet:

Nach Art. 15 DS-GVO hat jede betroffene Person, nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO also jede durch personenbezogene Daten identifizierbare oder identifizierte Person, das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie u. a. ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten. Der Begriff der „personenbezogenen Daten“ nach Art. 4 DS-GVO ist weit gefasst und umfasst nach der Legaldefinition in Art. 4 Nr. 1 DS-GVO alle Informationen, die sich auf eine identifizierbare natürliche Person beziehen. Unter die Vorschrift falten damit sowohl im Kontext verwendete persönliche Informationen wie Identifikationsmerkmale (z.B. Name, Anschrift und Geburtsdatum), äußere Merkmale (wie Geschlecht, Augenfarbe, Größe und Gewicht) oder innere Zustände (z.B. Meinungen, Motive, Wünsche, Überzeugungen und Werturteile), als auch sachliche Informationen wie etwa Vermögens- und Eigentumsverhältnisse, Kommunikations- und Vertragsbeziehungen und alle sonstigen Beziehungen der betroffenen Person zu Dritten und ihrer Umwelt (Vgl. OLG Köln, Urteil vom 26.07.2018, 20 U 75/18 m.w.N.).

Die Beklagte ist danach verpflichtet, dem Kläger über die in Bezug auf seine Person bei ihr vorhandenen Daten Auskunft zu erteilen, wobei sich diese Verpflichtung nur auf tatsächlich noch gespeicherte (und nicht aufgrund Zeitablaufs gelöschte) Daten beziehen kann. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist der bestehende Auskunftsanspruch durch die Beklagte bislang nicht voll erfüllt worden. Dem Kläger sind bislang die als Teil der Anlage K 10 eingereichten Abrechnungen und Arztberichte übersandt worden, dass darüber hinaus keine weiteren Daten in Bezug auf den Kläger elektronisch gespeichert sind, hat die Beklagte selbst nicht behauptet.

C. Die Klage ist hinsichtlich der vom Kläger begehrten Kostenübernahme für eine stationäre Immunglobulin-Therapie nicht begründet.

Die medizinische Notwendigkeit von stationären Immunglobulin-Behandlungen hat der insoweit beweisbelastete Kläger nicht bewiesen. Nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. M… in seinem Gutachten vom 07.02.2020- auf das die Kammer zunächst vollumfänglich verweist und das sie sich zu eigen macht – wird eine Therapie mit Immunglobulinen nur in Einzelfallberichten als positiv beurteilt, wobei kontrollierte Studien nicht vorliegen. Bei dem Kläger bestehe für eine primäre Therapie mit Immunglobulinen keine Evidenz, zunächst sei eine kortikoidsparende Therapie als notwendig anzusehen. Unter Berücksichtigung der bei bisher ca. 57 Immunglobulin-Infusionen festgestellten guten Verträglichkeit sei hierbei eine ambulante Gabe gerechtfertigt.

Die hiergegen – auch unter Bezugnahme auf zwischenzeitlich eingeleitete Behandlungsmaßnahmen – gerichteten Einwendungen des Klägers hat der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens nachvollziehbar und überzeugend ausgeräumt.

So hat der Sachverständige erläutert, dass eine Behandlungsmaßnahme in Form einer Immunglobulin-Therapie zwar bei einer Neuromyotonie – einer sehr seltenen Erkrankung – in Betracht komme. Vorrangig seien jedoch den jeweiligen Patienten deutlich weniger belastende – medikamentöse – Maßnahmen, erst dann, wenn diese medikamentösen Behandlungen – etwa mit cortisonsparenden Medikamenten – keine entsprechende Wirkung gezeigt hätten oder nicht tolerable Nebenwirkungen hervorgerufen hätten, sei eine Immunglobulin-Therapie die angezeigte Behandlungsmaßnahme. Wenn die Angaben in dem vom Kläger als Anlage zum Schriftsatz vom 24.11.2020 überreichten Arztbrief Dr. T… vom 29.04.2020 (Bl. 421 – 422 d.A.) zutreffend seien, sei nunmehr eine Immunglobulin-Therapie die angezeigte Maßnahme, dies setze jedoch voraus, dass zwei oder maximal drei Medikamente ausprobiert worden seien, ohne dass diese eine entsprechende Wirkung gezeigt hätten bzw. dass Nebenwirkungen aufgetreten seien. Nach dem Inhalt des vorgelegten Arztbriefs sei dies noch nicht abschließend geklärt.

Sofern sich eine Immunglobulin-Therapie als angezeigte Behandlungsmaßnahme herausstelle, könne diese ambulant erfolgen, eine stationäre Behandlung sei nicht (mehr) erforderlich angesichts des Umstands, dass sich bei bereits ca. 57-maliger Behandlung des Klägers keine Nebenwirkungen gezeigt hätten. Bei Behandlungen mit Antikörpern, die bei anderen Erkrankungen, etwa bei MS-Erkrankungen, üblich seien, werde regelmäßig mit stationären Gaben begonnen, die nach vier bis fünf Behandlungen – bei denen keine Besonderheiten aufgetreten seien – ambulant fortgesetzt würden. Wenn bei den anfänglichen Behandlungen dagegen Besonderheiten etwa in Form anaphylaktischer Reaktionen aufträten, sei eine weitere Immunglobulin-Behandlung nicht mehr angezeigt.

Auf Grundlage dieser überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen lässt sich nicht feststellen, dass stationäre Immunglobulin-Behandlungen medizinisch notwendig sind zur Behandlung der Erkrankung des Klägers.

Da nach den weiteren überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen zudem selbst für den Fall, dass eine Immunglobulin-Therapie bei dem Kläger notwendig sein sollte, jedoch zu deren Dauer und Intensität vorab nichts gesagt werden kann, handelt es sich auch nicht um konkret feststehende, bevorstehende Behandlungen, sondern nur um zukünftig mögliche Behandlungen, hinsichtlich derer der Kläger vorab keine Feststellung einer Erstattungspflicht der Beklagten verlangen kann.

Damit stehen dem Kläger keine Ansprüche gegen die Beklagte auf Erstattung von Kosten erst zukünftig möglicher Immunglobulin-Therapien zu.

Mangels Bestehen eines Hauptanspruches auf Erstattung der Kosten stationärer Immunglobulin-Behandlungen besteht auch kein Anspruch auf die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Zu der von Klägerseite beantragten Vernehmung der den Kläger behandelnden Ärztin Dr. T… und zu einer Beiziehung der zwischenzeitlichen Behandlungsunterlagen bestand kein Anlass, da – wie ausgeführt – auch im Falle einer medizinischen Notwendigkeit einer Immunglobulin-Therapie jedenfalls weder eine Notwendigkeit für eine – vom Kläger begehrte – stationäre Behandlung gegeben ist noch der mögliche Umfang zukünftiger Behandlungen hinreichend feststeht.

Es bestand auch kein Anlass, den Parteien bezüglich der Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 03.12.2020 Schriftsatznachlass einzuräumen, da beide Parteien im Termin ausführlich Stellung nehmen konnten.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 709, 92 II Nr. 1 ZPO. Angesichts des nur geringfügigen Obsiegens des Klägers war eine Quotenbildung nicht veranlasst.

Der Streitwert wird auf bis 200.000,00 € festgesetzt, davon 193.770,05 € für die Klageanträge zu 1. und 2. (3,5-facher Jahresbetrag der vom Kläger angegebenen Behandlungskosten abzüglich 20 % Feststellungsabschlag) und 100,00 € für den Klageantrag zu 4.

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